Ich startete die Heilig-Drei-Könige-Sendung mit einem Song des Rappers Bender von 2016 über die kritischen Auswirkungen der elektronischen Medien, wo er auch noch rappt „ich denke quer..“ – und dachte: das passt jetzt aber nicht. Und dann: es ist wahrscheinlich unser Schicksal, dass die Dinge nicht passen. Bzw.: WIR als Menschen richten uns irgendwie passend ein, und dann kommt irgendwas quer (!) – das ist ja auch ein großes Thema der Kunst. Epochale Kunstwerke waren häufig zunächst Skandale, sprengten den Rahmen des Passenden, erst viel später gewöhnten sie „die Leute“ daran… (auch nicht immer). Es gibt zwar auch den menschlichen Impuls, der „Etikette“ zu entfliehen, den familiären Traditionen zum Beispiel, das Unpassende wird zuweilen Zeichen der Rebellion. Allerdings läuft diese Rebellion meistens nach überraschend eng umgrenzten Fahrplänen ab, aus Rebellionen entwickeln sich nicht selten Ideologien, und spätestens da muss dann wirklich wieder alles passen. Wenn dann noch jemand nicht passt, für den wird´s gefährlich.
Und die Bibel? – Man muss ja sagen, dass sie über die Jahrhunderte zum „Passendsten Buch“ im Christlichen Abendland geworden war. Wer als rechtschaffen gelten und nicht anecken wollte, konnte sich damit ausstatten und den passenden Eindruck unterfüttern. Der Spruch vom „Trend“, der „zum Zweitbuch“ gehe, zeigt hier im Nachhinein die inzwischen stattgehabte kulturelle Heterogenisierung unserer Gesellschaft an. Aber viele Jahre und für viele Menschen waren die Bibel und vielleicht noch das von Luther stark promotete „Kirchliche Gesangbuch“ die passenden Insignien eines wohlanständigen Lebens. Allerdings: der Nimbus des Passenden, Erwartbaren, Verwaltbaren passt (!) zum Inhalt der Bibel gar nicht. Kürzlich las ich: „dieses Jahr ist Weihnachten ganz anders“ (also: unpassend gegenüber den Erwartungen), und ich dachte: naja, das ERSTE Weihnachten war ja auch schon unpassend. Wer hatte sich denn die Ankunft des göttlichen Retters so vorgestellt, wie sie dann geschah? Hinterher wurde ein Kult draus gemacht, aus der Hütte und der Krippe und den Hirten und Gold, Weihrauch und Myrrhe, später schmuggelten sich dann auch noch Weihnachtsbäume und diverse andere Kultgegenstände und -gebräuche mit dazu – es entstand der Eindruck, dass Weihnachten niemals anders hätte ablaufen können, als es hier bedacht wurde. Und das STIMMT ja auch in DEM Sinn, dass das erste Weihnachten tatsächlich so und nicht anders abgelaufen ist, nämlich dass Jesus als Kind in eine Krippe gelegt wurde usw. Aber es stimmt ganz sicher NICHT in dem Sinn, dass es nicht anders hätte ablaufen KÖNNEN, also dass Gott an diese Ausgestaltung des ersten Weihnachten gebunden gewesen wäre. Jesus hätte auch in einem anderen Jahrhundert, an einem anderen Ort usw. geboren werden können, die Krippe hätte eine Luftmatratze sein können und die Geschenke der ersten Besucher Kaffee, ein Satellitentelefon und eine Ladung hochwirksamen Covid-19-Impfstoffs. Hätte können, war aber nicht so.
Hatte wirklich niemand die Art und Weise vorausgesehen, wie Jesus auf die Erde kommen würde? Es gab doch die Propheten, die sein Kommen voraussagten! Am schärfsten brachte es vielleicht Johannes der Täufer auf den Punkt (von dem ja Jesus auch mal sagte, es sei keiner derjenigen, die (als Propheten) aufgetreten sind, größer als er, siehe Matthäus 11,11): „Nach mir kommt ein Stärkerer, der wird euch taufen mit Feuer und heiligem Geist!“ – Das war schon zutreffend und auch eine sehr wichtige Botschaft – und gleichzeitig blieb es natürlich auch kryptisch im Hinblick auf die konkrete Weise, wie Jesus (der zu der Zeit ja schon geboren war) dann seinen Dienst ausüben würde. Interessanterweise wurde Johannes, der größte Prophet, selbst wieder unsicher darüber, ob nun in concreto Jesus von Nazareth die Erfüllung seiner Prophetien darstellte, weil dieser Jesus offenbar zu den Vorstellungen von Johannes auch nicht passte (siehe wiederum Matthäus 11).
Prophetien gibt es viele im Alten Testament, man könnte das ganze Alte Testament als einzige Prophetie auf Jesus hin deuten – nur: von Krippe, Stall und Hirten steht da nichts. Es gibt also einen Unterschied zwischen der prophetischen Erwartung und konkreter Vorstellung. Die Prophetische Erwartung ist immer mit einer inneren Hinwendung zu Gott, mit Umkehr verbunden. Die konkrete Vorstellung beinhaltet dagegen eher das, was uns gedanklich passend erscheint. Das zeigt die größere Bedeutung der Erwartung gegenüber unseren konkreten Vorstellungen, in die Gott auch in Zukunft wieder nicht passen wird. Denn die Situation bleibt bestehen: jetzt beziehen sich die Erwartungen des Christlichen Glaubens auf die Wiederkunft des auferstandenen Jesus Christus. Diese wird in der Bibel klar vorhergesagt, aber die genauen Umstände werden unsere Vorstellungskraft sprengen bzw. daran vorbeigehen.
Jobst Bittner von der TOS Gemeinde Tübingen predigte am Jahresanfang 2021 darüber, dass es die Aufgabe der Christlichen Gemeinde ist, die Menschheit auf das Wiederkommen Jesu vorzubereiten und auch zur Umkehr zu rufen, und zwar genau nach dem Modell Johannes´des Täufers. Die konkrete Art und Weise dieser Ankunft wird uns sicher nicht passen, aber es reicht auch aus, wenn wir die Ankunft erwarten und darauf vorbereitet sind, indem unser Herz ihn erwartet und wir innerlich zu ihm hingewandt sind. Das hat Jesus auch selbst angemahnt: „Wacht, denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr nach Hause kommt. (…) Was ich euch sage, sage ich allen: Wacht! (Markus 13, 35.37)