Die Corona-Krise bietet eine schöne Anschauung für die Bedeutung eines biblischen Textes im Römerbrief, Kap. 13.
Dort steht: „Jeder Mensch ordne sich den staatlichen Mächten unter, denn sie sind von Gott eingesetzt… Wer sich der Obrigkeit aber widersetzt, der widersetzt sich einer Anordnung Gottes“ (usw.)
Der Text ist natürlich umstritten, zumal in Deutschland, bei unserer Geschichte! Da denkt „jeder“ gleich an die Naziherrschaft und führt ggf. diesen Bibeltext als Beleg dafür an, dass die biblische Botschaft ja wirklich nichts tauge, um sich Diktaturen in den Weg zu stellen. Das kann man so natürlich nicht sagen, obwohl das real existierende Christentum sich im „dritten Reich“ mehrheitlich ganz gewiss nicht mit Ruhm bekleckert hat. Andererseits muss man, um gewissenhaft die biblische Gesamtaussage zum Thema „richtiges Verhalten gegenüber Diktatoren“ zu eruieren, den hier genannten Text aus Römer 13 auch in der Zusammenschau mit anderen biblischen Texten sehen, wo es zum Beispiel heißt: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“, oder wo Gläubige den Befehlen von Diktatoren nicht gehorchen, obwohl sie das absehbar ihr Leben kosten wird, z.B. im alttestamentlichen Buch Daniel.
Ich will aber hier jetzt gar nicht darauf hinaus, was der Biblische Text für uns NICHT bedeutet. Wir sollten als Christen nämlich immer auch und sogar primär herausfinden, was ein biblischer Text SEHR WOHL für uns konkret bedeutet. Und hierfür bietet nun die Corona-Krise einen sehr guten Rahmen. Ich las einen Artikel über zwei entgegengesetzte Arten zu denken, die sich in der Corona-Krise zugespitzt zeigen. Das eine Extrem sei die „expertokratische“ Weise, nach der bloß die reine Wissenschaft zählt und wissenschaftliche Erkenntnisse quasi ohne Zwischenschritt gesellschaftlich umgesetzt werden müssen, sozusagen alternativlos. Das andere Extrem ist die populistische Weise, die nach der Devise „was scheren mich wissenschaftliche Erkenntnisse?“ vorgeht und sich entsprechenden (demokratisch umgesetzten) Folgen für die Gesellschaft verweigert. Die einen schreien: „Lockdown sofort für alle!“ (weil das aus infektiologischer Sicht geboten ist), die andern stellen sich quer und sagen: „ich mache, was ich will (bzw. was meinen „alternativen Fakten“ entspricht)“. Dazwischen steht die Obrigkeit, die einerseits die sachlichen Notwendigkeiten berücksichtigt, andererseits aber auch die Menschen mit einbezieht. Dabei werden viele Fehler gemacht, aber es ist doch viel besser als die zuvor genannten Extreme. Angesichts einer so organisierten Herrschaft kann man sehr gut den Segen erkennen, den es bedeutet, sich in das entsprechende Gemeinwesen einzufügen und sich an die Gesetze und Regeln zu halten, auch wenn sie nicht der persönlichen Meinung entprechen. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Anweisungen aus dem Römerbrief per se nur bei Vorliegen einer demokratischen Herrschaft anzuwenden seien, denn bei Niederschrift des Römerbrief bestand ja auch keine Demokratie. Aber auf eine demokratisch legitimierte Obrigkeit sind sie auf jeden Fall anzuwenden. Ich denke übrigens, dass die zuvor beschriebenen extremen Denkweisen sich zwar bei EINIGEN Menschen jetzt stark zeigen, dass aber auch VIELEN Menschen durch die Corona-Krise der Segen eines Gemeinwesens, politisch organisierter Herrschaft und gemeinsamer Regeln wieder neu bewusst wird.
Und in Tübingen fällt das dieser Tage nochmal besonders leicht, da sich hier die Obrigkeit schon länger als besonders aktiv darin zeigt, Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen, die sowohl den sachlichen Notwendigkeiten Rechnung tragen als auch den Menschen neue Perspektiven bieten, siehe Modellprojekt „Tübinger Tagesticket“, mehr Öffnungen bei gleichzeitiger Testpflicht. Ich finde das eine schöne Leistung Leistung politisch organisierter Herrschaft, selbst wenn es rein „fallzahlenmäßig“ schief gehen sollte. Sich in einem solchen Gemeinwesen zu „widersetzen“ (d.h. sich grundsätzlich zu verweigern), dafür gibt nach biblischer Anweisung keine Gründe.
Biblische Anweisungen, deutsche Geschichte und Tübinger Politik
24. März 2021 | Keine Kommentare