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Der befremdete Blick des jüdischen Mitbürgers in die Lokalzeitung

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Der Antisemitismus kommt gerade wieder „groß raus“ in Deutschland. Das Thema hat in Tübingen sozusagen auch „prominenten Lokalbezug“ durch unseren Oberbürgermeister, der jüdische Vorfahren hat. Da er sich zusätzlich gut erklären kann, ergibt sich daraus ein „lokales Lernfeld“. Ich kann Boris Palmers Facebook-Eintrag „@israel“ vom 17.5. nur empfehlen, und ebenso teile ich seine Kritik an dem sonnigen Artikel über eine „Freies Palästina“-Demo. der am 16. Mai im Schwäbischen Tagblatt erschien. Dieser Artikel ist voller Empathie für das Anliegen der Demonstranten und schließt sich so implizit auch dem Statement der dort zitierten Veranstalter an, es gehe hier nicht um Antisemitismus. Hört sich gut an. Dem Artikel muss man trotzdem zumindest mangelnde Abgrenzung vom Antisemitismus vorwerfen.
Es kommt nämlich auf den Kontext an, in dem eine solche Demo stattfindet. Diesen Kontext veranschaulicht Boris Palmer, indem er eine Begegnung von vor zehn Jahren schildert. Damals traf er in Israel mit  jüdischen Auswanderern aus Frankreich zusammen, die ihm die in Frankreich für sie unaushaltbaren Zustände beschrieben: 1. den ständigen muslimischen Antisemitismus auf Frankreichs Straßen, 2. aber die fehlende Solidarität der französischen Gesellschaft mit ihnen als Juden. Damals, schreibt Palmer, habe er die Statements der Auswanderer nicht nachvollziehen können. Heute kann er es offensichtlich, darum schreibt er es auch so auf Facebook. Heute besteht in Deutschland und in Tübingen eben ein solches Bedrohungsszenario für Juden und ebenso der Mangel an Solidarität. Diese müsste auch ein vorbehaltloses Bekenntnis zum Existenzrecht und Verteidigungsrecht des Staates Israel einschließen. Die Demonstranten für ein „freies Palästina“ (das implizit die Existenz des Staates Israels mindestens relativiert) werden zwar mit den Worten zitiert werden, es gehe nicht um ein Palästina ohne Juden, sondern bloß um eines ohne Krieg. Ein solches Idealbild ist aber angesichts der gegenwärtigen und der geschichtlichen Situation ein schwerer gutmenschlichen Realitätsverlust. Jedem muss klar sein, dass es leider für Jüdinnen und Juden nirgends auf der Welt sonst eine Möglichkeit für ein Leben in Freiheit und Sicherheit gibt, als ihren eigenen jüdischen Staat. Daher ist alles, was das Existenzrecht und Verteidigungsrecht des Staates Israel auch implizit in Frage stellt, auch gegen das grundlegende Bedürfnis des jüdischen Volkes gerichtet. Genau dies aber findet auch statt, wenn in dem Tagblattartikel das „freie Palestina vom Mittelmeer bis zum Jordan“ sozusagen als (Gut-)Menschheitstraum behandelt wird. Man muss mit Boris Palmer fragen: „Wo ist dann noch Platz für den Staat Israel?“ – Eben deshalb ist der Artikel zu kritisieren.
Nochmal: es liegt am Kontext. Ein solcher Zeitungsartikel zu einem anderen Thema wäre vielleicht möglich, aber ein Artikel, in dem es grundsätzlich um den Staat Israel geht, muss in diesen Tagen den Bezug zum Antisemitismus herstellen und auch zu bedenken geben, dass es sich bei grundsätzlichem „Antiisraelismus“ stets auch um Antisemitismus handelt. So herum wird „ein Schuh draus“, so herum besteht die Beziehung zwischen Juden und Nahost-Konflikt. Sie besteht NICHT darin, dass die Juden in Deutschland verantwortlich wären für die politischen und kriegerischen Geschehnisse in Israel. Sie besteht aber sehr wohl darin, dass wir gegenüber unseren jüdischen Mitbürgern dafür verantwortlich sind, uns auch angesichts des Nahost-Konflikts mit ihnen auch in der Weise zu solidarisieren, dass der Staat Israel unverhandelbar ist.

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